Der steirische Wollpodcast
Podcast Episode 42
Schoeller und das EXP 3.0/4.0 -Verfahren
28.05.2024
Griaß eich zu einer neuen Episode von dej_woîn. Hier ist Sabine von die_handwerkstätte aus meiner Heimat in der grünen Steiermark. Zuallererst möchte ich diesen Podcast als unbezahlten und unbeauftragten Werbepodcast deklarieren, da er Informationen zu Produkten, Betrieben, künstlerisch tätigen und den kunsthandwerklich geschickten Menschen und zu den Museen aus der Steiermark enthält.
In den Folgen 31 und 35 ging es ja ums Hercosett-Verfahren und der damit verbundenen AOX-Produktion. Zur kleinen Erinnerung: beim Hercosett-Verfahren wird zumindest in einem Schritt Chlor in Form von AOX freigesetzt, das Krebs bedingen kann.
Das Vorarlberger Unternehmen Schoeller hat sich vor Jahren diesem Thema angenommen und ein Verfahren entwickelt, das kein Chlor verwendet und zu den gleichen Antifilz-Ergebnissen führt wie das herkömmliche Hercosett-Verfahren.
Dieses sogenannte EXP 3.0 Verfahren, wobei EXP für ex-pollution steht – also so was wie „weg mit der Verschmutzung“, wurde in Vorarlberg von der Fa. Schoeller in Zusammenarbeit mit der Universität Innsbruck entwickelt.
Wie bei den meisten Antifilz-Ausstattungen ist ein zwei-Schritte-Programm notwendig. Zuerst muss die Oberfläche der Faser vorbereitet werden. Im herkömmlichen Hercosett-Verfahren wird ja die Cuticula entfernt bzw. werden die Kanten beschliffen. Dies erfolgt meist mit Einsatz von Chlor-hältigen Substanzen. Im Schoellerverfahren werden diese Chlor-hältigen Substanzen durch Peroxid Sauer-Wasserstoff ersetzt, was zur Quellung der Cuticulazellen führt. Durch die Vermeidung von Chlor werden auch keine AOX dabei produziert.
Aber was ist nun dieses Peroxid Sauer-Wasserstoff. Ich habe diesen Begriff aus der Präsentation von Textilindustrie.at, das offen zugänglich ist. Den link findet ihr in den shownotes. Ich nehme an, damit ist Wasserstoffperoxid gemeint. Aber zerlegen wir das Wort einmal Peroxide sind Substanzen, die zwei miteinander verbundene Sauerstoffatome beinhalten – bzw. aus zwei Sauerstoff-Anionen – also zwei Sauerstoff-Atome, die zweifach negativ geladen sind – bestehen. Peroxide sind sehr reaktiv und werden deshalb als Bleichmittel eingesetzt – wer schon mal seine Haare blond gefärbt hat, der hatte damit wahrscheinlich schon zu tun. Außerdem werden sie oft Waschmitteln beigemengt oder für medizinische Zwecke benutzt. In der Natur kommen Peroxide aufgrund ihrer Reaktivität selten vor, aber man findet es zB. in Oberflächenwasser, in der Erdatmosphäre und in bestimmten Mineralien. Selbst in unserem Körper kommt es kurzfristig zur Bildung von Peroxiden, obwohl es zu den Zellgiften zählt. Sie verändern Proteine, Zellmembranen und selbst die DNA.
Peroxide sind sozusagen Segen und Fluch – in geringen Maßen benutzt unser Körper diese Substanzen, um Prozesse zu ermöglichen, in Mengen sind sie toxisch.
Sollte mit dem Begriff „Peroxid Sauer-Wasserstoff“ Wasserstoffperoxid gemeint sein, so kann ich euch darüber noch erzählen, dass es 1818 von Louis Jacques Thénard durch Reaktion von Bariumperoxid mit Salpetersäure das erste Mal künstlich produziert wurde. Dieses Verfahren wurde dann verfeinert und verbessert. Heutzutage erfolgt die Produktion völlig anders, nämlich über das sogenannte Anthrachinon-Verfahren. Anthrachinon kommt in der Natur als Mineral mit dem Namen Hoelit vor. Abkömmlinge von Antrachinon finden sich auch im Rhabarber oder in der echten Färberröte. Antrachinon ist ein umstrittener Stoff, der von der der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) im Jahr 2015 als krebserzeugend eingestuft wurde. Dagegen wurde 2017 Einspruch erhoben, worauf 2021 diese Einstufung auf 2 Derivate von Antrachinon reduziert wurde.
Wohl gemerkt, hierbei geht es um die Herstellung von Wasserstoffperoxid – das ja die Fa. Schoeller nicht macht. Die Fa. Schoeller verwendet den Stoff – wie gesagt – zu Kantenquellung. Um diesen Vorgang zu beenden, wird nun mit Sulfit reduziert.
Als Sulfite – also mit hartem T – bezeichnet man Salze und Ester der Schwefeligen Säure. Sie hat die Formel H2SO3. Sulfite werden als Konservierungsmittel eingesetzt und kommen in fast allen Weinen vor.
Anschließend wird die Oberfläche mit Mikro-Patches aus ökologischen Polymeren überzogen. Im Gegensatz zum herkömmlichen Hercosettverfahren, wo die gesamte Faser einen Überzug erhält, wird im EXP-Verfahren auf eine Art Spotabdeckung gesetzt – es ähnelt eher kleinen Pflastern, die sich über und in die Kanten der Schindeln legen. Dadurch wird das natürliche Wollfeeling erhalten.
Aus was genau diese ökologischen Polymere bestehen, kann ich euch leider nicht sagen. Ich habe für euch bei der Fa. Schoeller nachgefragt und ein sehr liebes Antwortmail erhalten, wonach sie noch immer Patentverfahren in manchen Ländern haben und deshalb keine Auskünfte geben können.
Die Wolle ist durch dieses EXP 3.0 Verfahren antifilzausgestattet – wobei es mittlerweile schon das EXP 4.0 Verfahren gibt, womit auch eine Trocknung im Wäschetrockner möglich ist. Hervorzuheben ist, dass mit diesem Verfahren auch bis zu 50% des Wasserverbrauchs bei der Herstellung eingespart werden konnte. Schoeller gibt auch an, dass wesentlich weniger Chemikalien im Einsatz sind, als bei herkömmlichen Verfahren.
Für dieses Verfahren hat die Fa. Schoeller auch den Innovationspreis 2012 des Landes Vorarlberg und der Wirtschaftskammer verliehen bekommen. Auch deshalb, weil Schoeller die einzige Garnproduktion ist, die mit der EXP-Ausstattung das Label bluesign bekommen konnte. Weiters ist ihre Wolle mit den Labeln GOTS. Nativa, RWS, Ecolabel, Global Recycled Standard. Naturtextil, ZDHC, Textiles Vertrauen, ISO und The Woolmark Company versehen. 2013 bekam wurde es zudem mit dem „Goldenen Outdoor-Award“ der Outdoor-Messe in Friedrichshafen ausgezeichnet.
Die Firma Schoeller mit Sitz in Vorarlberg hat als einfache Spinnerei begonnen und stellt nun ca 100 Fasertypen her, die nicht nur zum Verstricken dienen, sondern auch in der Medizin und in der Raumfahrt eingesetzt werden.
Darunter befindet sich auch Outdoor-Sportkleidung mit Fasern aus Polycolon bio based. Dieser Stoff wird nicht aus Erdöl, sondern aus Bioabfall gewonnen, wie man auf der Webseite lesen kann. Das Gas, das bei Kreislauf- und Bioabfällen entsteht, wird aufgefangen und zur praktisch klimaneutralen Herstellung des Polypropylens verwendet.
Weiters stellt die Fa. Schoeller Fasern aus abbaubaren Polyester – genannt Ciclo – her. Bei dem Herstellungsprozess werden im Schmelzprozess kleine Spots eingebaut – diese sind nicht auswaschbar. Diese Spots erlauben es nun Microben, die Faser als Nahrung aufzunehmen. Ich habe euch natürlich dazu auch den link mit einem kleinen Video dazu in die shownotes gestellt.
Was ist nun mein Fazit von dieser EXP-ausgestatteten Schoeller-Wolle. Grundsätzlich begrüße ich es sehr, dass es österreichische Firmen gibt, die sich um Nachhaltigkeit und um umweltschonende, ökologische Lösungen bemüht. Und wer bin ich schon, der Wolle kritisieren darf, die mit so vielen Öko- und Umweltsiegeln, mit so vielen Umweltpreisen ausgezeichnet wurde.
Ich verstehe auch, dass die Firma während laufender Patentverfahren keine Auskunft über Materialen geben mag, auch wenn mich das immer stutzig macht.
Wenn ihr nun – meine Lieben – gerne Wolle kaufen möchtet, die maschinenwaschbar ist und sogar in den Trockner gegeben werden darf, dann bitte ist diese Wolle von Schoeller eine klare Empfehlung von mir.
Für mich selbst stellt sich aber immer die Frage: Wozu das überhaupt? Die Prozesse verbrauchen viel Energie, Chemikalen, wenn auch viel weniger und wir haben auch das Problem der Entsorgung. Da ich nicht weiß, welche Polymere verwendet werden, kann ich euch auch nicht sagen, ob es abbaubar ist und somit kann ich nur annehmen, dass man diese Textilien nicht eingraben darf, sondern – das ist meine Annahme – auf der Deponie entsorgt werden muss.
Ich finde Schoeller hat einen guten Job hier geleistet, damit wir keine Mühen bei der Reinigung haben – und nur darum geht es.
Und zum Schluss: Die Stübingsaison hat wieder begonnen.
So darf ich euch darauf aufmerksam machen, dass Barbara am 8. Juni einen wunderbaren Kurs über Klosterarbeiten im Freilichtmuseum Stübing abhalten wird. Klosterarbeiten gehören zum UNESCO-Weltkulturerbe und Barbara ist eine wahre Künstlerin darin. Anmeldung ist direkt bei Barbara, bei mir oder auf der Homepage www.schule-des-handwerks.at .
Am darauffolgenden Wochenende wird uns Aurelia in Stübing die Steirischen Muster für die Socken beibringen. Auch dieser Kurs kann direkt bei Aurelia, bei mir oder auf der Homepage gebucht werden.
Den link zur Anmeldung findet ihr natürlich in den shownotes.
An diesem Wochenende – am 2. Juni 2024 ist der Kindertag in Stübing. Hier kann gespielt und gewerkelt werden.
Und am 9. Juni darf bei einer Museumsführung die Rauchkuchl beheizt werden.
Zuallerletzt noch ganz leise: sollte euch der Podcast gefallen, so würde ich mich über ein buymeacoffee sehr freuen. Ich weiß jeder Podcaster will gern monetarisiern und jetzt bin ich auch eine davon. Aber ganz ehrlich, ich freu mich riesig über ein paar Münzen, die ihr mir für meine stundenlange Researcharbeit in den Hut werft. Den link dazu findet ihr auch in den shownotes.
Die Musik, die ihr hier gehört habt, stammt wieder von meinem Schulkollegen Wolfgang Hoffelner, der eine neue Single veröffentlicht hat. Herzlichen Dank, lieber Wolfgang. Den link zu seiner Seite findet ihr natürlich auch in den shownotes.
Alle links, jene von den Veranstaltungen als auch die links der Informationen aus dieser Episode findet ihr natürlich in den shownotes.
Übrigens: alle meine Episoden sind in schriftlicher Form auch unter Transkripte zu finden. Wer diese Transkripte nicht finden kann, der kann sie auch auf meiner homepage www.diehandwerkstaette.at unter dem Bereich blog finden. Dieser Link wieder ist in den shownotes.
Wenn euch diese Episode gefallen hat, so bitte bewertet diesen Podcast. Diese Bewertungen helfen dabei, dass der Podcast gefunden wird und natürlich freue ich mich auch darüber, wenn er euch gefällt.
Wie immer – dieser Podcast dient eurer Unterhaltung, stellt keinen Anspruch auf Vollständigkeit und Richtigkeit – die angegebenen Fakten werden aber von mir zum Selbststudium und zur Überprüfung mittels link in der descriptionbox hinterlegt.
So wünsch ich euch einen schönen wolligen Tag und auf ein Wiederhören bei der nächsten Folge von dej_woîn oder die Steiermark spinnt.
Links:
Über einen Kaffee würde ich mich sehr freuen:
https://www.buymeacoffee.com/sabinekainC
https://diehandwerkstaette.at/category/blog/
https://de.wikipedia.org/wiki/Peroxide
https://de.wikipedia.org/wiki/Wasserstoffperoxid
https://de.wikipedia.org/wiki/Sulfite
https://www.knittingindustry.com/schoeller-spinning-group-wins-innovation-award/
https://www.youtube.com/watch?app=desktop&v=6USiAlqNFGQ
https://de.wikipedia.org/wiki/EX-Pollution
https://technikland.at/magazin/gemeinsam-ideen-weiter-spinnen/
https://baileyjobrand.wordpress.com/2013/10/18/subject-of-interest-wool-fibre-exp-4-0/
https://schoeller-wool.com/startseite
https://ciclotextiles.com/what/how-it-works/
https://ciclotextiles.com/
https://schule-des-handwerks.at/der-kongress-des-alten-handwerks/die-seminare-und-kurse/klosterarbeiten-grundkurs-ab/
https://www.barbara-schnepf.at/
http://wolfganghoffelner.at/
https://www.youtube.com/watch?v=9yZ2X5uL-yg